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[   Band 1 Brief 150:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], 6. Mai 1791, Freitag abend   ]


150. Caroline an Humboldt   [Erfurt], 6. Mai 1791, Freitag abend

Ach, Wilhelm, wem könnte sich Deine Seele entfalten, wer
diese Zartheit der Gefühle, diese anspruchlose Größe, diesen
Zauberglanz der Schönheit in Dir bewundern und, nicht
entflammt von heißer Begierde, tiefer in Dich sich zu versenken,
neue Kräfte in sich fühlen und erhöhten Mut? Und in wessen
Seele kann all das tiefer glühen als in der meinen? — Wer hat
Dich gesehen, wer wird Dich noch sehen, wie ich Dich sah? O,
nur einmal im menschlichen Leben und nur dem Blick unendlicher
Liebe erschließt sich so die Seele — einem Wesen und keinem vor
ihm und keinem mehr durch die Dauer der Ewigkeiten. Ihm blüht
es, vor ihm lebt und webt es und fühlt sich in seinem ursprüng-
lichsten Sein, je wahrer es das andre aufnimmt, je inniger es in
ihn überfließt, je unaussprechlicher es eins mit ihm wird.

                                                   Sonntag abend
Ich habe am Fenster gestanden. Es ist eine sehr sternenhelle,
schöne Nacht, und der Mond geht eben hinter den Turm der
Augustinerkirche. Vielleicht bist auch Du im Freien, vielleicht gehst
Du mit Gentzen herum und Dein Blick hängt sehnsuchtsvoll wie
der meine an den leuchtenden Gestirnen. Weißt Du nicht, was
mit dem Wagen vorgegangen ist? Ich kann ihn nicht mehr sehen,
sonst stand er mir gegenüber. Aber gegen Abend stehen vier Sterne,
von denen schreib mir doch. Sie sehen so aus ** ** und haben gar
ein schönes, reines Licht, obgleich sie nicht sehr groß sind.
Papa wird Dir schreckliche Beschreibungen von der Unbe-
quemlichkeit, des Winters in Burgörner zu wohnen, machen, und
zum Teil mögen sie wohl gegründet sein, indessen wenn man sich
die Sachen nicht so schwer vorstellt, machen sie sich auch leichter,
und der Amtmann ist nicht ungefällig, wenn man sich artig mit
ihm nimmt, und kann manches erleichtern. Nein, Bill, laß uns

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