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[   Band 1 Brief 143:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Mittwoch nachmittag, 23. März 1791      ]


Blüten sein, und alle willst Du sie ja gern empfangen. O, das
Lächeln Deiner Huld, der unaussprechliche Blick, der mir sagt:
»Alle meine Wünsche sind in Dir befriedigt, meine Li,« der wird
ein neues Leben in meine Seele gießen, mit reinerem Licht meinen
Geist umstrahlen und hinaufheben mein Wesen über den Wechsel
aller Zeit zu kaum geahndeten Höhen. Ach, ich will es erraten,
jedes leise Verlangen dieses angebeteten Herzens, und keiner, keiner
Deiner Wünsche soll unbefriedigt bleiben, wenn mein Wesen hin-
reicht, ihm zu begegnen. Ach, Wilhelm, mein Geliebter, mein Ge-
mahl, laß meine Seele sich verlieren in den Gedanken unsrer Zu-
kunft. Das Bild, das mir in trunkenen Momenten von ihr vor-
schwebt, wird nicht wie so manches hienieden seine schönste Blüte
verlieren, wenn es Wirklichkeit empfangen. Der Liebe heiliger
Odem umweht Dein Wesen und das meine und entfaltet sie immer
reicher und segensvoller, trägt sie der Menschheit höchste Stufen
hinauf. O, jeder, jeder Tag wird unser Glück mehren, jeder wird
uns besser machen, und so wird jeder uns inniger verbinden, unsre
Seelen nur ein Leben leben — und ein Dasein wie dieses sollte
nicht auch segensvoll für andre sein? O, sein Einfluß sei still wie
die Herzen, aus denen er strömte, aber wohltätig und heilig wie
sie selbst wird auch er sein. —
Ich mußte ein wenig aufhören. Ach, wie so oft ergreift’s
mich, daß ich nichts mehr sagen kann. Nun bald, bald brauch ich
ja nicht mehr Worte, meine Seele vor Dir zu enthüllen, mehr wie
sie wird Dir mein Blick, meine Küsse, ach, selbst mein Schweigen
sagen. O, wie werd ich Dich wiedersehen! — Oft mein ich, die
Wonne dieses Moments könnte mich töten, aber sei ruhig, denke
nicht, mich zu schonen, ach, um keinen Preis wäre dieser Augenblick
zu teuer erkauft! —
Letzt, in den unendlich bangen Tagen, ich fühlte mein Leben
hin und her schwanken an dünnen Fäden — was hielt mich da?

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