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[   Band 1 Brief 131:    Caroline an Humboldt     Freitag abend, 18. Februar 1791   ]


Liebe; denn wo wäre noch dieser wunderbare Zusammenklang der
unaussprechlichen Liebe, die dem Geliebten das ganze Wesen eignet,
und der ungebundensten Freiheit!
Mein Wilhelm, wie oft sitz ich in einsamen Nächten stunden-
lang und sinne darüber nach und empfinde es klarer und klarer —
ach, mit so süßer Wonne — wie selbständig in sich, wie ge-
schieden von dem Zauber der Gegenliebe unsre Gefühle sind. So
empfind ich Dein Herz, so das meine, empfinde, daß das Hin-
geben unsrer Wesen aneinander unser Dasein ausmachen wird.
Ach, und nicht dies Dasein allein! Der liebeglühenden Seele sei
es vergönnt, den Schleier der Zukunft zu heben. — Dieser Blick
der Ewigkeit füllt sie mit den Ahndungen höheren Seins, reinerer
Liebe, innigeren Überfließens in den Geliebten, und oft — o,
Wilhelm, ist es Dir nicht auch so? Fühlst Du nicht oft, wenn Du
eines künftigen Daseins gedenkst, ein süßes, namenloses Verlangen,
gleich dem Zurückkehren nach einem heimischen Ort? Sollte es
trügen? Sollte etwas tief Empfundenes unwahr sein? O nein! Die
Momente, wo ich von der heiligen Glut Deines Wesens getragen
in einer reineren Ansicht der Dinge schwebte, lösten die lang ge-
bundene Seele. Da empfand ich, daß alles Aufstreben, alles Ringen
nach Veredlung, das einen menschlichen Busen füllt, Verlangen
sei, die erste, einfache, hohe Urgestalt unsres Wesens wieder zu
fassen! O, laß mich an Deiner Seite leben, in der Freiheit aller
äußeren Verhältnisse, daß nichts die Harmonie unsres Daseins
störe, daß ich Dich leben sehe in der Fülle Deiner liebsten, eigensten
Ideen, in allen geistigen Gestalten Deiner Seele. Mein Herz wird
von einem neuen Leben glühen, mein Wesen sich zu einer höheren
Schöne erheben und Dir den reinsten Genuß der Menschheit
geben! —
Wer hat ein Herz wie das Deine, das süße Gefühl, der
Schöpfer des Glücks eines guten Wesens zu sein, aufzufassen? —

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