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[   Band 1 Brief 127:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag abend, 10. Februar 1791   ]


könnte. Lottgen selbst ist mehr geworden. Ihre Empfindungen
haben an Innigkeit gewonnen, ihr Wesen tönt in einem volleren
Klange. Ich bin begierig, wenn Du die Lieben wiedersiehst, ob
Du sie empfindest wie ich. Ruhe nun sanft, liebes, süßes Leben.
Ich stand lang am Fenster, es ist eine schauerliche Nacht. Der
Mond erleuchtet sie bloß, und unserm Hause gegenüber rötet eine
starke Flamme den Himmel. Es muß in einem nahgelegenen Dorfe
brennen. Die armen, unglücklichen Menschen, die vielleicht ihr
alles verlieren. 
                                                 Sonntag morgen
Ach, mein Bill, ich kann Dir heut nichts mehr sagen. Freitag
abend war ich nicht zu Hause und gestern so schwer, so krank, ich
mußte mich hinlegen und bin so spät ausgestanden. Vergib mir.
Mit der nächsten Post bekommst Du mehr. Ich umarme Dich,
mein teures Leben.


128. Caroline an Humboldt                [Erfurt], Sonntag abend,
                                                 13. Februar 1791

Wie ist’s Dir, mein Wilhelm? So innig mich sehnend nach
einem Laut Deines Wesens, verging mir der Tag, ach,
in solch einer unendlich süßen und tiefen Wehmut. Ich
las viel von Dir, viele Briefe, und das löste mir die Seele zu wonne-
vollen Tränen. Immer so gleich und doch immer so mannigfaltig,
immer so einzig nur genährt von den Ideen des Höchsten und
Schönsten, empfindet man Deine Seele. Man ruht so sicher in
Deiner Güte, Deiner Milde, fühlt sich größer und stärker neben
Dir und gedankenreicher. Der rege, aufstrebende Geist schöpft des
seligsten Lebens Fülle, wenn er Dich und den wunderbaren Zu-
sammenklang Deines Wesens zu fassen strebt, die verhüllenden
Schleier weichen zurück und die trunkene Seele umfaßt die heilige
Gestalt der Wahrheit und Schönheit! — Laß mich schweigen von

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