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[   Band 1 Brief 116:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Freitag morgen, den 14. Januar 1791   ]


strömender Fülle von Euch empfange? Mein Bill, oft lieg ich
in stiller Nacht auf meinen Knien und weine Dir die süßen
Tränen des Dankes. O, Du Einziger! was gibst Du mir nicht
alles! Auch das wohltätige Vermögen, mit dem ich unsre Lili
noch inniger und wahrer umfasse, kommt mir von Dir. Du
machest mein Herz groß und reich und erfüllst es mit den Kräften
des Deinen. Deine Schönheit, Deine Größe glänzt in mir. O,
Dir, Dir sei auch aller Segen meines Daseins, alle Blüten, die
es trägt, empfange Du aus meiner Hand. Ein Lächeln, Gott,
ein Blick, und Li suchte ewig vergebens nach einem Wunsche, den
sie nicht in Dir erfüllt fände. Daß Du mein bist, ich Dein, den
ganzen Raum meines Daseins wird dies wonnevolle Gefühl aus-
füllen, und ich werd es nicht erschöpfen. O, wie glühend ich es
empfinde — so hat sich noch kein Mann gegeben wie Du, aber
es soll auch noch keiner solch ein Leben sein genannt haben wie
das, das Dir die Liebe bereitet. Laß mich nur erst mich voll
wieder fühlen bei Dir, laß meinen Geist in der seligen Anbetung
des Deinen sich von Höhe zu Höhe schwingen und die erste Ur-
gestalt Deines Wesens aus dem irdischen Schleier immer reiner
entwickeln, und Du sollst Dich freuen Deines geliebten, glücklichen
Weibes. Fordre nicht von mir, für was jede Sprache zu arm
ist, es zu sagen, den Ausdruck dessen, was ich ahnde, das wir
uns sein werden, aber komm zurück zu Deiner Li. Mein Blick
soll es Dir sagen, wenn er sich in Deinem Anschauen verliert,
mein Kuß, wenn ich in ihm Dir meine Seele zuatme, die Deine
empfange, meine Stimme, die Dich bitten soll, Dich nicht mehr
von mir zu trennen. O, ich will Deine Knie umfassen und Dich
flehen: »Trenne mich nicht mehr von meinem innersten Leben,«
und Du wirst mich hören, Du allgütiges Wesen. — O, Trauter,
Geliebter, oft nenn ich Dich nur zitternd mein, aber Dein, das
Geschöpf, das Dir ganz und einzig und unaussprechlich gehört,

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