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[   Band 1 Brief 107:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Mittwoch abend, 15. Dezember 1790   ]


107. Caroline an Humboldt                 [Erfurt], Mittwoch abend,
                                          15. Dezember 1790

Ach, wieder zwei Tage war ich von Dir getrennt, teurer
Geliebter. Es ist ein doppelt wehes, fast bittres Gefühl,
das mich ergreift, wenn ich mich in der Stunde unter
den Menschen herumtreiben muß, die Dir gehört, die mich allein
für die Leere der Tage schadlos hält. Alles, was es mich kostet
ruhig zu bleiben, es ihnen nicht entgelten zu lassen — Du fühlst
es allein. Vorgestern war ich bei der Generalin auf dem Peters-
berg. Ich schlich mich fort, indes die andern spielten, durch ihre
Zimmer hinaus auf einen schönen Gang, den sie sich angelegt hat
und an dessen Ende man eine gar angenehme Aussicht auf die
Stadt und die umliegende Gegend hat. Es wehte eine kalte Schnee-
luft — schnell getriebene Wolken bargen und enthüllten wieder
einzeln den Anblick des gestirnten Himmels, über das Ganze warf
der Mond eine so wunderbare Beleuchtung, mein Herz war namen-
los ergriffen und bewegt. In dieser einsamen Stille wurde mir
besser, mein Busen hob sich freier, und ich konnte Deinen Namen
aussprechen, Du Einziger. Ach, mit heißen Tränen sank ich auf
den Boden und hob mein Auge zum Himmel. Eine düstre Wolke
zog vorüber, »unbekümmert des Sturmes, der unter euch braust,«
dachte ich, »glänzt ihr da oben, ihr Sterne, und tretet ewig in un-
wandelbarer Schönheit aus dem Schleier der Wolken hervor, der
euch deckte — nicht so der Mensch — seine Seele, ein Funke
der Gottheit, wie oft fühlt er sie nicht, sich selbst entwandt seufzt
er nach Momenten der Klarheit, in denen er voll und rein sein
Dasein fühle, aber vergebens — sie sendet nur ein bessrer Genius!
O, heilig, heilig schweb er über meinem Wilhelm!« Da ward mir
so wohl und so weh, so unaussprechlich still in tiefer Seele. Dein
Wilhelm, wiederholte mein ganzes Wesen, und gebunden fühlt
ich mich die Dauer eines Moments an die Erde, an das unendlich

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