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[   Band 1 Brief 92:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Donnerstag abend, 11. November 1790   ]


sprach ich von der langen Zeit, die ich schon diente, und man
rechnete mir vor, daß es, die Burgörnersche Reise abgerechnet,
noch nicht sechs Monate wären, und ich mußte selbst laut mit-
lachen. Ich treibe mein Wesen jetzt hier so fort, arbeite viel, sehe
so wenig Menschen als möglich, aber immer mehr als ich möchte,
bin ewig, oft schwelgend in glühender Erinnerung, aber meist in
süßer, liebender Wehmut bei meinem trauten Mädchen, bin so
namenlos glücklich, weine dann wieder so bange Tränen, ringe,
diese Gegenwart auf einmal abzuschneiden, und verliere mich in un-
sicheren Plänen. Der Herbst muß uns vereinen, Li, das ist mir
jetzt so gewiß, ohne daß ich eben sagen könnte, daß gerade die
äußeren Umstände mir die Hoffnung stärker zusicherten. Aber ich
denke, ich reiße es dann ab, wie es sei, und ich habe einen arbeits-
vollen Winter aufzuweisen, dafür tun die Menschen, mit denen
ich in Geschäften hier zu tun habe, viel, und gewiß, was sie können.
Sie sind mir alle sehr gut und einer, von dem nur freilich nicht
das meiste gerade abhängt, enthusiastisch für mich. Recht lieb wird
mir diese Laufbahn nie werden, das fühl ich. Die Geschäfte werden
meinen inneren Neigungen immer fremd bleiben, die äußeren Vor-
teile mich nie reizen. Ach, ich lächle oft, wenn ich so denke, die
Lage und die könnte mir lieb, könnte mir unlieb sein. Der Mensch
täuscht sich so kindisch. Weil ich nun jetzt getrennt und allein bin,
kommt’s mir vor, als könnte nun das, nun jenes mich freuen. Seh
ich Dein Auge wieder, dann ist’s alles, alles vorüber, dann gibt’s
mir nichts Liebes mehr, und ich fühle außer Dir nichts Drücken-
des, als was mich auch nur auf Augenblicke trennte von meiner
süßen Liebe. Wenn ich sie erst habe, weiß ich, wird das alles nicht
mehr sein, da werd ich keine Lage achten, keine fürchten, ich habe
ja sie. Ach! dies einzige, wundervolle Götterleben! Nein, meine
Li, wie begeistert von unsrer Liebe, von allen den einzigen Er-
innerungen, entzückenden Hoffnungen mein Geist sich emporschwingt,

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