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[   Band 1 Brief 89:    Humboldt an Caroline    [Berlin], 6. November 1790   ]


sich aus, und auf sich wirkt man still und schweigend und an-
spruchlos. Wenn ich auch viel Kenntnisse hätte, ich würde sie nie
so zeigen, mir würde immer mehr daran liegen, sie mich selbst aus-
bilden zu lassen, als sie unmittelbar auf andre anzuwenden. Es
mag sein, daß man für den Augenblick, für eine bestimmte Lage
mehr bei der entgegengesetzten Handlungsart wirkt, aber im ganzen
und tiefer — dächt ich, wirkte man doch so, wie es mir scheint,
daß ich in ähnlichem Fall tun würde. Aber leicht kann das in
meiner Individualität liegen, da ich wenig Mut und Geschick habe,
außer mir zu wirken. Für mich handle ich gewiß nicht furchtsam,
und mehr als einmal hab ich mit romantischer Kühnheit mein
ganzes inneres Glück gewagt, aber ich weiß auch, daß ich dulden
kann, was die Folge meiner Schritte ist. Nur für andre? Darum
hab ich Alexander noch nichts darüber schreiben mögen, so sehr er
mich auch dazu veranlaßt hat.
Diese Furchtsamkeit fühl ich fast immer im Umgange, mir
ist’s, als könnte man leichter viel verderben als gut machen, und
es mag oft manchem scheinen, als gäb ich nicht genug auf ihn
acht oder ging ich nicht redlich mit ihm um. Mir selbst kommt’s
oft so vor, und dann mach ich mir Vorwürfe. An diesem klein-
lichen Wesen leid ich viel, das wirst auch Du, arme Li, noch oft sehen
und mit leiden, aber Deine Liebe wird mich tragen. Ach! nicht wahr?
Denn sonst tut’s mir immer so weh, zu sehen, daß etwas nicht
gut in mir ist, weil ich denke, das kann auch Dir einmal weh tun.
Papa ist doch nicht böse auf mich? Gott! ich habe so viel
zu tun. Kaum sehe ich mich an meinem Tisch vor Akten. Jetzt
auf einmal vier weitläufige Sachen, drei Kriminalfälle. Lauter
Totschläge mit so vielen Wunden. Wenn ich dann des Nachts
lese, schauert’s mich so, und ich nehme hurtig den Handschuh und
geh zu Bette. Es ist recht kindisch. Aber die Phantasie wird so
gespannt, und mein Wesen ist unendlich reizbar. Doch muß Li

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