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[   Band 1 Brief 41:    Caroline an Humboldt     Erfurt , den 19. April 1790   ]


auch die neueren Konfessions von Rousseau, sie tragen das Ge-
präge der Wahrheit, und es ist doch interessant zu sehen, welches
irre Gewebe das Leben dieses Mannes war. Es ist unbegreiflich,
wie schwach er oft war — ich liebe Rousseau, obgleich ich nicht
so über ihn deklamieren möchte wie Campe, er ist mir ein durchaus
reines und wahres Wesen. Wenn man die Konfessions liest, fühlt
man, wie unglücklich er oft muß gewesen sein, und man kann sich
nicht eines innigen Mitleidens erwehren. Ich liebe diese Art
Bücher, weil sie einen gerechter machen gegen die Menschen, mit
denen man lebt, denn wer möchte am Ende in seinen eigenen Busen
greifen und übermütig sagen, ich bin besser wie dieser. O ich will
meine Fehler gestehen; bei dem Lesen des Rousseau habe ich mich
einigemal dabei ertappt, daß ich das Buch ungeduldig zugemacht
hatte und mir sagte, hier oder dort hätte ich besser, fester gehandelt
— aber ich habe es auch wieder bereut, nein, wer fühlt, an welchen
zarten Fäden wir gezogen werden, wer die Macht des augenblick-
lichen Einflusses empfunden hat, wird nicht lieblos und vermessen
über andere aussprechen, und wer das alles nicht kennt, wessen
Organisation ihn vor dieser Beweglichkeit schützt, ach, möchte man
mit ihm tauschen?
Der Koadjutor hat jetzt so eine Freude und so ein Treiben
an meinem Zeichnen. Ich muß mir ein paar Werke darüber
kommen lassen, die ich den Sommer fleißig studieren soll, und wenn
er im künftigen Winter noch da ist, glaube ich, gibt er mir gar
Unterricht im Ölmalen. Es ist eine schöne Sache um die Kunst,
dies ist eigentlich der Reiz davon, wenn man seine Ideen selbst
darstellen kann. Es ist mit der Malerei wie mit der Dichtkunst
und der Musik.
. . . Die Gelehrsamkeit von Hagen *) und seiner Frau ist gar
drollig. Mir wird aber bange dabei. Du gewöhnst Dich so an

———
*) v. Hagen-Möckern, bei dem Humboldt in Berlin verkehrte.

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